80 Days - Die Farbe der Lust by Vina Jackson

80 Days - Die Farbe der Lust by Vina Jackson

Autor:Vina Jackson
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-10-26T00:00:00+00:00


8

EIN MANN UND SEIN GAST

Dieses Zimmer ganz oben in Dominiks Haus hatte Summer bislang noch nicht gesehen. Früher war es vermutlich einmal der Speicher gewesen, den man irgendwann ausgebaut hatte. Hier und da folgten die Schrägen der Linie des Dachs, und nur an zwei Wänden standen Bücherregale, hauptsächlich gefüllt mit ganzen Jahrgängen gelblich verblichener Literatur- und Filmzeitschriften. Das obere Fach des Regals an der linken Wand barg vorwiegend Bücher mit Ledereinband und zumeist französischen Titeln. Summer war es jedoch nicht erlaubt, sich die Bücherregale anzusehen und den Inhalt zu erforschen. Der Raum wurde lediglich von zwei quadratischen Oberlichtern erhellt.

Ansonsten war das Zimmer so leer, als hätte Dominik absichtlich dafür sorgen wollen, dass es keine Ablenkungen bot.

Er hatte sie für zehn Uhr bestellt, es sollte ein Abendkonzert werden, ihr erster Auftritt vor ihm zu so später Stunde. Alle anderen zu ihrem ungeschriebenen Kontrakt gehörenden Begegnungen hatten im Lauf des Tages oder am frühen Abend stattgefunden.

Dominik hatte sie an der Tür mit einem beiläufigen Kuss auf die Wange empfangen. Wie immer konnte Summer in seinen Zügen nichts lesen, und weil sie wusste, dass er ihr keine Erklärungen geben würde, stellte sie auch keine Fragen. Er begleitete sie die Treppe hinauf und öffnete ihr die Tür, die zum Dachgeschoss führte.

»Hier«, sagte er.

Summer stellte ihren Geigenkasten auf dem Parkettboden ab.

»Jetzt?«, fragte sie Dominik.

»Ja, jetzt.« Er nickte.

Für ihr Leben gern hätte sie gewusst, wer sich heute gemeinsam mit ihm ihr Spiel anhören würde, biss sich aber lieber auf die Zunge. Wellen der Erregung durchströmten sie, wenn sie an den oder die Zuhörer ihres Konzerts dachte – wer immer ihre Darbietung und alle ihre Bewegungen verfolgen würde.

Sie schlüpfte aus ihren Kleidern. Auf Dominiks Anweisung hin hatte sie sich nicht herausgeputzt, sondern lediglich eine alte Jeans und ein enges weißes T-Shirt angezogen. Nylons und High Heels seien nicht nötig, hatte er gesagt. Sie solle sich splitternackt präsentieren. Es machte ihm offenbar Spaß, ihre Entblößung in feinen Abstufungen zu steigern, wenn man bedachte, mit welcher Sorgfalt er ihre Auftritte orchestrierte. Wie ein durchgeknallter, aber systematisch vorgehender Dirigent.

Rasch hatte sie sich ihrer wenigen Kleidungsstücke entledigt und stand nackt vor ihm. Einen Augenblick wünschte sie, er nähme sie gleich hier und jetzt, auf dem Parkett, auf allen vieren. Aber sie wusste ja, dass er für den Abend anderes geplant hatte, oder zumindest bis sie mit ihrer Musik das Feuer der Lust in ihm entfacht hatte. Wie immer hatten sie sich zuvor auf ein Stück geeinigt: Das Solo aus dem letzten Satz des 1. Violinkonzerts von Max Bruch.

Er musterte sie mit durchdringendem Blick. Es war noch warm in Zimmer, aber durch die Oberlichter fielen bereits erste blasse Strahlen des Mondes.

»Hast du einen neuen Lippenstift?«, fragte er. Er war ein guter Beobachter. Schon seit Jahren verwendete sie je nach Tageszeit unterschiedliche Farben und wechselte bei Anbruch des Abends zu einem dunkleren Rotton. Das schärfte ihr Empfinden, nachts zu einer anderen Person zu werden.

»Nicht neu«, antwortete sie. »Aber ich lege für den Abend gern einen dunkleren, wärmeren Farbton auf.«

»Interessant.« Er war plötzlich ungewohnt nachdenklich.



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